Digitale Teilhabe: Mehr Internet für alle

2016-04-19 10:00
von Gastautor
Foto: Tim Gouw via www.pexels.com (CC0 License)

19.04.2016 - Gastbeitrag - Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung bzw. des digitalen Wandels sprechen wir auch von einer Veränderung der Arbeitswelten. Was jeden Arbeitnehmer und Freiberufler im allgemeinen betrifft, gilt auch für Menschen mit Einschränkungen. Sie müssen wir auf dem Wege in neue Arbeitswelten genauso mitnehmen wie Senioren und Kinder und überhaupt alle, die an der Digitalisierung teilhaben sollen und wollen. 

Digitaler Arbeitsplatz. Foto: Nicole Willnow
Digitaler Arbeitsplatz. Foto: Nicole Willnow

Der Alltag der meisten von uns hängt immer mehr vom Internet ab: „Ich bin so online, dass Kommunikation mit meiner Oma unmöglich geworden ist.“ Schon 2008 hatte der Poetry-Slammer Sebastian 23 diese Erkenntnis bei einem Auftritt im WDR-Fernsehen: „Wer von euch kennt jemanden, der keine E-Mail-Adresse hat? Wer hat sich noch nie selbst gegoogelt?“, fragte er schon damals. Und gäbe es Youtube nicht, Sebastians Fernsehauftritt von einst wäre vielleicht schon längst wieder in Vergessenheit geraten. 

 

Digitale Kluft im Jahr 2016 

Seit Mitte der Neunziger gehen immer mehr Menschen online. Wir teilen uns mit – wann, wo und wie oft wir wollen. Noch aber hat die digitale Demokratisierung längst nicht alle erreicht. 

Rund 16 Millionen Menschen sind heute kein Teil der digitalen Gesellschaft. Sie nehmen nicht an politischen Online-Diskussionen teil, können ihre Ideen und Standpunkte nicht im Netz verbreiten und sind von einem wesentlichen Teil des heutigen Informationsangebots ausgeschlossen: Seniorinnen und Senioren zum Beispiel, denen die technischen Hürden zu hoch sind. Aber auch Menschen mit Sehbehinderung, die immer noch an nicht barrierefrei ins Netz gestellten Inhalten scheitern. Oder Nutzer, die wegen ihrer Lernbehinderung nicht richtig lesen und schreiben können. Im Netz beschränken sie sich auf audiovisuelle Inhalte, die sie vorher erst einmal finden müssen – ohne Google-Suchschlitz. 

Geschlossen werden soll diese „digitale Kluft“ durch politische Initiativen wie die UN-Behindertenrechtskonvention oder die 2014 von der Bundesregierung verabschiedete Digitale Agenda. Geschehen soll das zum einen, indem für möglichst viele Menschen mit besonderen Bedürfnissen technische Hürden auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft abgebaut werden: etwa durch mehr barrierefreie Internetzugänge in Pflegeeinrichtungen. Es geht aber auch um mehr barrierefrei ins Netz gestellte Inhalte: etwa mit Untertiteln, einer Version in einfacher Sprache und mit eindeutiger Benutzerführung. Zudem sollen in Online-Medien mehr Themen aus dem und für den Lebensalltag von Menschen mit Behinderung stattfinden.

IRMGARD und PIKSL-Labor: Beispiele aus der Praxis 

Auf der anderen Seite entstehen mehr und mehr Initiativen, Apps und Softwarelösungen, die bisher Benachteiligte fit machen wollen für die Teilhabe am digitalen Leben. 

Genau darum geht es etwa bei der von der Berliner KOPF, HAND + FUSS gGmbH entwickelten kostenfreien Android-App „IRMGARD“, die sich an Jugendliche und Erwachsene Analphabeten sowie Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche richtet. In dutzenden Lektionen erklärt die ehemalige Schulrektorin und Schreibtrainerin Irmgard Schwiderski unterhaltsam und ansprechend, wie Buchstaben zu Silben, Wörtern und Sätzen werden. Angenehm daran: Mit der mobilen App lässt sich nicht nur überall üben, sondern vor allem unauffällig – und damit ohne Scham als Analphabet erkannt zu werden. 

Ein zweites Beispiel ist das ebenfalls gemeinnützige PIKSL-Labor in Düsseldorf: Dort treffen sich Menschen mit und ohne Behinderung und entwickeln gemeinsam Lösungen für Probleme – unter anderem beim Umgang mit Computer und Internet. Menschen mit Lernschwierigkeiten sind hier Experten, die Barrieren erkennen und Ideen einbringen, wie diese verringert werden können. PIKSL-Mitglieder haben beispielsweise ein Content-Management-System entwickelt, das auf Piktogrammen basiert: Dadurch können Menschen mit Schreib- und Leseschwäche leichter Online-Inhalte publizieren und besser am Netz-Diskurs teilnehmen.  

 

Die AlphabetisierungsAPP "Irmgard"

Das Internet stärkt die Stimme jedes Einzelnen

Die Praxis zeigt: Haben bisher digital benachteiligte Menschen den Weg ins Netz erst einmal gefunden, nutzen sie es auch. Und zwar überdurchschnittlich stark: Das zumindest zeigt die Studie „Chancen und Risiken des Internets der Zukunft aus Sicht von Menschen mit Behinderungen“ (https://www.einfach-fuer-alle.de/studie/). Der Großteil der Befragten hat eine Seh- oder Hörbehinderung. Aus ihrer Perspektive erleichtert das Internet die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und kann zum Teil auch behinderungsbedingte Nachteile kompensieren. 

Bedenkt man zudem, dass relevante Themen wie Pegida oder der Fall Böhmermann längst und regelmäßig nicht nur von Online-Medien, sondern zunehmend auch von zehntausenden Facebook-, Twitter-, Youtube- oder Snapchat-Nutzern besetzt und mitgestaltet werden, muss digitale Teilhabe für alle der nächste Meilenstein sein – auf dem Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft. 


Matthias Steinbrecher ist Journalist und arbeitet vor allem für die Deutsche Welle.  Taina Niederwipper macht Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für verschiedene Großunternehmen.

Seit 2015 sind sie für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der KOPF, HAND und FUSS gGmbH verantwortlich. Neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bloggen sie auf wasmitb.de über die B-Seiten des Lebens.

Website: kopfhandundfuss.de
Twitter: @KHuF_Berlin
Facebook: facebook.com/KOPFHANDundFUSS


Wir beleuchten in diesem Blog in den kommenden Wochen verschiedene Aspekte von New Work und digitaler Teilhabe. Im Wechsel werden Gastautoren als auch das Team von Digital Mesh zu Wort kommen. Wir freuen uns auf interessante Inhalte, über die wir gerne weiter mit Euch sprechen.

Ein besonderer Dank geht an Microsoft, welche uns in äußerst unbürokratischer Art und Weise unterstützen, diesen 'Content Hub' mit Gedanken zum Digitalen Wandel vor allem unserer Arbeitswelten zu befüllen.

Zurück